Ein offener Brief der Organisation „Ehemaliger Geheimdienstveteranen pro Vernunft“ hat US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus erreicht. Aufgrund der eskalierenden Lage in Syrien und den immer stärker einfrierenden Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, möchte ich Ihnen diesen Brief zur Kenntnisnahme in diesem Bericht in der deutschen Übersetzung präsentieren.

Betreff: Verhinderung einer militärischen Eskalation in Syrien

Herr Präsident, wir richten uns mittels dieses Briefes an Sie, um Sie – wie wir es ebenfalls im Hinblick auf Ihren Amtsvorgänger George W. Bush sechs Wochen vor dem militärischen Angriff unseres Landes auf den Irak taten – eingehend davor zu warnen, dass sich die Folgen aus einer zahlenmäßigen Beschneidung Ihrer Militärberater auf einen kleinen und relativ unerfahrenen Kreis mit dubiosen Track Records als desaströs erweisen könnte.

Dieses Mal liegen unseren Bedenken die aktuellen Entwicklungen in Syrien zugrunde. Wir hoffen, dass die morgige und täglich stattfindende Unterrichtung des Präsidenten all Ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die bereits am Samstag durch Maria Zacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, ausgesprochene Warnung richten wird.

Diese offen ausgesprochene Warnung lautete wie folgt: „Falls die USA einen direkten Angriff gegen Damaskus und die syrische Armee planten und ausführten, würde dieses Ereignis einen furchtbaren und tektonischen Bruch nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten Region zur Folge haben.“

Eine Rede im russischen Fernsehen haltend, warnte Zacharowa explizit vor jenen Kräften, die der „Logik“ folgten, „warum wir noch Diplomatie nötig haben ... wenn es doch das Mittel der Machtausübung und Methoden gäbe, um zwischenstaatliche Probleme durch Machtausübung zu lösen. Wir haben mit dieser Logik bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt, nichts daran ist neu. Für gewöhnlich endet diese „Logik“ wie folgt: mit einem totalen Krieg“.

Wir hoffen, dass Sie sich dieser Warnungen nicht erst durch unseren Brief bewusst werden und darüber zum ersten Mal – unabhängig von offiziell genehmigten Erklärungen – hören. Falls Sie an Sonntagen von der Berichterstattung in den „Mainstream-Medien“ abhängig sein sollten, werden Sie über diese erteilte Warnung wohl noch nichts mitbekommen haben.

In der Washington Post wurden Zacharowas Warnungen in einem verkürzten Bericht – unter Ausschluss der Warnung vor einem totalen Krieg – im letzten Absatz eines insgesamt elf Absätze umfassenden Artikels mit dem Titel „Erneut Krankenhaus in Aleppo bombardiert“ beerdigt. Die Sonntagsausgabe der New York Times ließ die Erklärungen der Sprecherin des russischen Außenministeriums komplett unter den Tisch fallen.

Aus unserer Perspektive entspräche es einem großen Fehler, Ihrem Kreis aus nationalen Sicherheitsberatern zu erlauben, dem Beispiel der Washington Post und der New York Times zu folgen, indem Ihnen das Gewicht und die Bedeutung der Warnungen Maria Zacharowas vorenthalten werden.

In den vergangenen Wochen zu beobachtende Ereignisse haben Russlands Offizielle dazu gebracht, unserem Außenminister John Kerry zu misstrauen. Russlands Außenminister Sergei Lawrow, der seine Worte ansonsten mit Bedacht wählt, hat sein Misstrauen gar öffentlich zum Ausdruck gebracht.

Einige offizielle Repräsentanten Russlands gehen davon aus, dass Kerry in den jüngsten Verhandlungen ein doppeltes Spiel gespielt hat. Andere offizielle Repräsentanten Russlands glauben hingegen, dass Kerry – wie vehement auch immer er sich um einen diplomatischen Fortschritt bemühen mag – nicht dazu in der Lage ist, seinen eingegangen Verpflichtungen nachzukommen.

Grund hierfür ist, da das Pentagon Kerry zu jeder sich bietenden Gelegenheit ausmanövriere. Wir sind der Ansicht, dass dieser wachsende Mangel an Vertrauen eine Herausforderung ist, die überwunden werden muss, und die – zu diesem Zeitpunkt – nur durch Sie persönlich überwunden werden kann. 

Es sollte nicht allein einer um sich greifenden Paranoia auf russischer Seite zugeschrieben werden, dass in Moskau davon ausgegangen wird, dass die am 17. September durch amerikanische und australische Luftstreitkräfte ausgeführten Angriffe auf die syrische Armee, denen 62 Tote und 100 Verwundete zum Opfer fielen, keinem zugegebenen Fehler, sondern vielmehr einem freimütigen Versuch zur Ruinierung eines teilweise zwischen Kerry und Lawrow ausgehandelten und vereinbarten Waffenstillstands, der mit Ihrer und Präsident Putins Einwilligung nur fünf Tage zuvor in Kraft trat, entsprach.

In öffentlichen Verlautbarungen, die fast schon aufsässigen Charakter hatten, legten hochrangige Vertreter des Pentagons einen ungewöhnlich großen Skeptizismus im Hinblick auf Schlüsselelemente des zwischen Kerry und Lawrow ausgehandelten Waffenstillstands an den Tag. Wir müssen davon ausgehen, dass das, was Lawrow seinem Chef unter vier Augen gesagt haben mag, jenen am 26. September für ihn sehr uncharakteristisch offenen Worten gegenüber dem russischen Sender NTV nahegekommen sein dürfte. Wir zitieren:

„Mein guter Freund John Kerry … befindet sich im Kreuzfeuer eines Trommelfeuers der Kritik seitens der amerikanischen Militärmaschinerie. Trotz der Tatsache, dass Kerry wie so oft darauf hinwies, dass Amerikas Oberbefehlshaber Präsident Barack Obama ihn in seinen Verhandlungen mit Russland unterstütze (was er ebenfalls im Rahmen seines Treffens mit Präsident Wladimir Putin bestätigte), scheint der US-Militärapparat augenscheinlich nicht auf den US-Oberbefehlshaber zu hören.“

Joint Chiefs of Staff Chef Joseph Dunford vor dem US-Kongress: Die unilaterale Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien könnte zum Krieg mit Russland führen – eine fundamentale Entscheidung, die ich gewiss nicht treffen werde...

Lawrows Worte entsprechen keiner bloßen Rhetorik. Er kritisierte ebenfalls den Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, Joseph Dunford, weil dieser in einer jüngsten Anhörung vor dem US-Kongress mitgeteilt hatte, dass er dem Teilen von Geheimdienstinformationen mit Russland in Opposition gegenüberstünde. Doch das erzielte Abkommen sah auf direkte Anordnung von Russlands Präsident und Präsident Barack Obama vor, diese Informationen zu teilen. Sie werden einsehen, dass es sich als schwierig erweist, mit solchen Partnern zu arbeiten.

Strategieunterschiede zwischen dem Weißen Haus und dem Pentagon werden nur selten auf derart offene und unverblümte Art und Weise zum Ausdruck gebracht, wie dies im aktuellen Fall Syriens der Fall ist. Wir möchten Ihnen anempfehlen, ein in dieser Woche neu auf den Markt kommendes Buch mit dem Titel The General vs. the President: MacArthur and Truman at the Brink of Nuclear War des renommierten Historikers H. W. Brands zu lesen. 

Dieses Buch enthält zusammenfassende Zeugenaussagen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt publiziert wurden, die Licht in die Angelegenheit bringen, weswegen Ex-Präsident Truman den Helden des Zweiten Weltkriegs, General Douglas MacArthur, aus seinem Posten als Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte in Korea im April 1951 entlassen hatte. 

Ein frühzeitiger Rezensent merkte an, dass „Brands Publikation uns auf Herausforderungen im Hinblick auf die voneinander abweichenden Zielsetzungen militärischer und ziviler Strategien aufmerksam macht, denen wir uns auch heutzutage ausgesetzt sehen.“ Vielleicht werden Sie diese neue Buchpublikation zum jetzigen Zeitpunkt gar als relevanter erachten als seinerzeit Team of Rivals.

Peter Scholl-Latour ein Jahr vor seinem Tod zu Hintergründen in Bezug auf die sich ausweitenden Konflikte in Syrien, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrikas

Die Tür für eine Fortsetzung der Verhandlungen steht noch immer halb offen. In den letzten Tagen haben sowohl Offizielle der russischen Außen- und Verteidigungsministerien als auch Präsident Putins Sprecher auf vorsichtige Weise zu verhindern versucht, diese Tür in Gänze zu schließen. Darüber erachten wir es als gutes Signal, dass Außenminister Kerry noch immer in telefonischem Kontakt mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow steht.

Ebenso haben die Russen mit Nachdruck auf Moskaus anhaltenden Willen zur Achtung einer Einhaltung von ehedem getroffenen Vereinbarungen in Bezug auf Syrien erklärt. Aus Sicht des Kremls steht für Russland weitaus mehr auf dem Spiel als für die USA. Tausende regimekritische Terroristen aus Russland sind in Syrien eingesickert, wo diese Kräfte in den Besitz von Waffen, finanziellen Mitteln und praktischer Erfahrung im Hinblick auf einen gewaltsamen Aufstand gelangen.

In Moskau macht man sich verständlicherweise ernsthafte Gedanken über die Gefahren, die mit einer potenziellen Heimkehr dieser Kräfte verbunden wären. Zusätzlich lässt sich davon ausgehen, dass Präsident Putin unter demselben Druck des eigenen Militärsektors steht wie auch Sie, der darauf abzielt, einen Säuberungsbefehl zu erteilen, um die Situation in Syrien ein für allemal zu bereinigen – unabhängig davon, wie dunkel der Ausblick in Bezug auf eine militärische Lösung des Problems auf beiden Seiten auch sein mag.

Wir sind uns darüber bewusst, dass viele Kongressabgeordnete wie auch die Mainstream-Medien Sie nun dazu auffordern, den Einsatz zu erhöhen, um eine adäquate Antwort auf die Situation zu liefern. Resultat einer solchen Eskalation wäre der Ausbruch von noch mehr Gewalt in Syrien.

Schatten machen sich breit im Hinblick auf das „Washingtoner Drehbuch“, über das Sie verächtlich in Interviews mit Jeffrey Goldberg vom Atlantik zu Beginn dieses Jahres sprachen. Wir fühlen uns durch Ihre Aussage gegenüber Goldberg ermutigt, dass sich dieses Drehbuch als „Falle entpuppen und zu sehr schlechten Entscheidungen führen könnte“. Ganz abgesehen davon, dass sich daraus überaus „dumme Handlungen“ ableiten könnten.

Goldberg schrieb, dass Sie zu der Ansicht gelangt seien, dass das Pentagon Sie vor sieben Jahren auf eine Truppenaufstockung in Afghanistan festgenagelt habe, und dass dieselben Dinge vor drei Jahren fast auch im Hinblick auf Syrien geschehen wären, bevor Präsident Putin die syrische Führung dazu überredet habe, Chemiewaffen in eigenen Beständen einer Vernichtung preis zu geben. 

Es erweckt den Eindruck, als ob die Herangehensweise, die damals zum Erfolg geführt hatte, nun auch wieder ausprobiert werden sollte, was vor allem unter der Prämisse Geltung fände, falls Sie sich erneut durch das Pentagon in die Enge getrieben fühlen sollten.

Übrigens wäre es unter Annahme eines nach dieser Art einzuschlagenden Weges äußerst hilfreich, wenn Sie einen Ihrer Mitarbeiter dazu auffordern würden, den durch viele Mainstream-Medien an den Tag gelegten infantilen und teilweise ungehörigen Ton zugunsten einer objektiven Berichterstattung aufzugeben. In vielen Fällen handelt es sich aus unserer Sicht um ungerechtfertigte und wenig hilfreiche Berichte sowie bloße Herabwürdigungen von Präsident Putin.

Den bilateralen Dialog mit Russlands Präsident Putin wieder aufzunehmen könnte sich als eine der besten Chancen erweisen, um einem ungewollten Festnageln durch das Pentagon zu entgehen. Wir glauben den Aussagen von Außenminister John Kerry, laut denen die Lage in Syrien beängstigend kompliziert sei, was selbstverständlich vor allem an den voneinander abweichenden Zielen der in den Krieg verwickelten Fraktionen und deren Interessen liegt.

Zum selben Zeitpunkt hat Kerry bereits einen guten Teil an Pionierarbeit geleistet und fand in Lawrow in den meisten Fällen einen hilfreiche Verhandlungspartner. Trotz allem glauben wir im Angesicht des schwelenden Misstrauens und wachsenden Skeptizismus in Russland – und nicht nur in Russland – in Bezug auf die Stärke der Unterstützung für unseren Außenminister, dass Diskussionen auf höchster Ebene den Königsweg bilden würden, um Hitzköpfe auf beiden Seiten davon abzuhalten, die Risiken einer bewaffneten Konfrontation, die beide Seiten mit allen Mitteln verhindern sollten, auszuweiten.

Aus diesem Grund empfehlen wir Ihnen dringlichst, dass Sie Präsident Putin zu einem Vieraugengespräch an einem für beide Seiten geeigneten Ort einladen, um den schwelenden Konflikt beizulegen und eine Verschlimmerung der Situation für die Menschen in Syrien zuvorzukommen. Im Zuge des während des Zweiten Weltkriegs angerichteten Blutbads, machte Winston Churchill eine Beobachtung, die sich auch auf unser 21. Jahrhundert anwenden lässt: „Quasseln, quasseln, quasseln ist besser als Krieg, Krieg, Krieg führen.

For the Steering Group, Veteran Intelligence Professionals for Sanity

William Binney, former Technical Director, World Geopolitical & Military Analysis, NSA; Co-founder, SIGINT Automation Research Center (ret.)

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